Sonntag, 30. September 2012

Rezension: Adrian Mayfield (Floortje Zwigtman)

Heute möchte ich euch mal keinen Kosmetikartikel vorstellen, sondern ein Buch, bzw. eine Buchreihe ;) Aber keine Sorge, es hat nichts mit meiner Masterarbeit zu tun und ich verschone euch mit Werken über Pfadabhängigkeit oder das Bildungswesen in Frankreich.





Und zwar widmet sich dieser Eintrag der „Adrian Mayfield“-Trilogie der niederländischen Autorin  Floortje Zwigtman (eigentlich Andrea Oostdijk, aber ich kann beides nicht richtig aussprechen :P). 

Die Buchreihe wurde 2005-2010 geschrieben und erschien 2008-2011 in deutscher Übersetzung beim Gerstenberg-Verlag. Bei amazon kostetdas erste Buch im Hardcover-Einband 16,90 Euro, es gibt aber mittlerweile anscheinend auch eine günstigere Softcover-Variantevom Oetinger-Verlag für 10,95 Euro, das trifft allerdings bisher nur auf den ersten Teil zu. Die Bücher sind mit ca. 500-650 Seiten eher „dicke Schinken“, wobei meinetwegen hätten sie auch noch dicker sein können, ich hatte sie natürlich – Lieblingsbuchphänomen – viel zu schnell durch.

Ich bin nur zufällig beim Stöbern in den Hamburger Bücherhallen (so heißt hier die städtische Leihbibliothek) auf diese Buchreihe gestoßen. Ich schau mich dort ab und zu in der Jugendabteilung um, weil ich die Arena-Thriller lese (meine Schwester hat mich angesteckt), das ist kurzweilige Unterhaltung, über deren Schreibstil und Anbiederung beim jugendlichen Leser ich mich zwar immer wieder aufrege, aber man kann mich ziemlich schnell dran kriegen mit Spannung und „Wer war der Täter?“-Plots (ich muss ja sogar bei „Verdachtsfälle“ bei RTL wissen, wie es ausgeht xD). Ich hab dann während meiner Suche den dicken Einband von „Ich, Adrian Mayfield“ gesehen und das Buch wirklich nur rausgezogen, weil ich den Namen so schön fand. Adrian Mayfield hört sich ja sehr klangvoll und blumig an und selbst, als ich noch überhaupt nicht wusste worum es in diesem Buch gehen würde und welchen Hintergrund es hat, assoziierte ich mit dem Namen direkt das viktorianische England. Geschickt gemacht von der Autorin ;) Vielleicht kam ich drauf, weil „Adrian“ Anleihen an „Dorian“ hat und ich das sogleich mit Oscar Wildes „Picture of Dorian Gray“ verknüpfte? Das wäre jedenfalls schon mal eine gute Fährte gewesen.

Wie auch immer ich nun tatsächlich dazu kam, Anfang 2011 also dieses Buch in die Hand zu nehmen – es ist eine der besten Sachen gewesen, die ich in diesem Jahr angestellt habe. Denn durch puren Zufall habe ich so ein (für mein Empfinden) kleines Meisterwerk an Land gezogen, das jetzt zu meinen absoluten Lieblingsbüchern gehört. Denn hier passt für meinen Geschmack einfach alles, und so einen  literarischen Glückstreffer lande ich nur alle paar Jahre mal. Ich habe mir direkt nach der Lektüre die ersten beiden Bücher gekauft und sehnsüchtig darauf gewartet, dass im Sommer 2011 der dritte und damit leider auch der letzte Teil in Deutschland erschien.

Aber ich komme erst mal zur Handlung an sich: Es geht um, man ahnt es schon ;), einen Jungen namens Adrian Mayfield. Dieser lebt im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts, er ist weitestgehend mittellos und arbeitet im heruntergekommenen Londoner Osten. Als er dann auch noch seine Stelle als Ladenhelfer bei einem Herrenausstatter verliert, sitzt er auf der Straße, erhält aber durch Zufall eine Bleibe bei dem exzentrischen, aber gutmütigen belgischen Maler Augustus Trops – mit dem er zuvor eigentlich eine ihm eher unangenehme Begegnung gemacht hatte, als dieser noch Kunde bei seinem Chef war. Übrigens, ich bin ja begeisterte Agatha Christie-Leserin und ich musste Trops irgendwie immer mit ihrem Detektiv Hercule Poirot verbinden: Korpulente Gestalt, mächtiger Schnurrbart, ausgefallene, von den Briten mit empört-herabwürdigendem Blick gestreifte Kleidung, immer das Pochen darauf, dass er Belgier sei und nicht Franzose… keine Ahnung, ob das Absicht ist oder nicht, aber ich für meinen Teil habe mir dann Augustus Trops immer vorgestellt wie Sir PeterUstinov als Hercule Poirot xD 
Und damit beginnt ein völlig neues Leben für Adrian, denn er lernt nicht nur eine andere Gesellschaftsschicht kennen als der, der er entspringt: Trops ist Kunstmaler, lässt Adrian für sich Modell sitzen und dadurch erhält der Junge Zugang zur mondänen Gesellschaft, die etwa im Londoner Café Royal sich in ihrem eigenen Glanz sonnt; genauer gesagt macht er Bekanntschaft mit dem dekadenten, hedonistischen „purpurnen Hofstaat“ um Oscar Wilde, den schon zur damaligen Zeit populären Schriftsteller und lernt so etwa auch Aubrey Beardsley, der Wildes Werke illustrierte, oder den arroganten Lord Alfred Douglas kennen, Oscar Wildes Geliebten. Aber nicht nur äußerlich scheint sich Adrians Leben zu verändern, denn er lernt auch einen Teil seines Selbsts besser kennen, der ihm zuvor nicht so stark bewusst war: Seine Homosexualität. Adrian merkt aber auch schnell, dass er eigentlich nur Besucher ist in der schillernden Welt, in die Trops ihn gebracht hat und dass er bei Weitem nicht über die Mittel oder das Ansehen verfügt, um dort vollständig anerkannt zu werden. Um nur ansatzweise mithalten zu können mit dem Lebensstil seiner neuen Bekanntschaften, reicht es irgendwann nicht mehr für ihn, Malern Modell zu sitzen und er beginnt, sich zu prostituieren. Damit macht er zwar durchaus Geld, aber er ist sehr darauf bedacht, dass seine Freunde und Bekannte dies nicht aufdecken. Gleichzeitig spürt er auch, dass er immer ein Fremder bleiben wird in den Sphären der Künstler und Dandys. 
Adrians erste Liebe füllt natürlich auch einen Großteil der Seiten, und diese ist so problematisch, wie sie nur sein kann: Nicht nur, dass Adrians Geliebter aus einer vollkommen anderen Gesellschaftsschicht entstammt und schon alleine deswegen eine bloße Freundschaft fast unmöglich wäre, er ist auch ganz und gar nicht im Reinen mit seinen Neigungen und möchte die Liebe zu Adrian nicht wahr haben. 
Die Spannungen zwischen den Ständen, Erpressungen, denen Homosexuelle damals zum Opfer fielen, Hetzjagd auf Schwule, das Auf und Ab zwischen Adrian und seinem ersten Freund, der innerlich zerrissen ist und seine Gefühle zu unterdrücken und später auch mit dubiosen Mitteln zu bekämpfen versucht, immer auch darin eingebunden die Figur des Oscar Wilde, dessen Prozess ebenfalls eindrücklich geschildert wird, stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Der dritte Band spielt dann teilweise in Paris (was mich persönlich sehr gefreut hat :) ). Auch Adrians Verhältnis zu seiner Familie wird thematisiert: Seine lebenslustige Schwester, aufstrebender Stern als Tänzerin, die ihm immer mal wieder den nötigen Tritt in den Hintern verpassen will, damit er etwas aus seinem Leben macht, seine unterkühlte Mutter, für die er ein Versager ist oder sein Vater, ehemals Schauspieler und Kneipenbesitzer, der dem Alkohol verfallen ist und von der Heilsarmee aufgepäppelt wird (die Szenen mit seinem Vater sind teilweise wirklich urkomisch).

Ja genau, deswegen liebe ich diese Bücher: Sie spielen im viktorianischen England und es geht um Oscar Wilde und Schwule :D 

Na okay, das wäre viel zu kurz gegriffen und wird der Buchreihe nicht gerecht. Ja, man verliert sich gerne im London um 1890, es wird alles atmosphärisch dicht beschrieben, man bekommt einen plastischen Eindruck vom Leben dort – aber es wird nichts schöner verpackt als es ist oder in einen märchenhaften Glanz verhüllt, um eine vermeintlich „gute alte Zeit“ mit schicken Klamotten, Champagnerkelchen und einem Leben im Saus und Braus ohne Arbeit und existentielle Probleme heraufzubeschwören. Denn es geht mitnichten nur um die höhere Gesellschaft. Das Leben im Londoner Osten war ein hartes, und das verspürt man auch während der Lektüre, hier wird unverblümt aufgedeckt, wie es den Menschen erging, die eben nicht der High Society entstammen. Allerdings wird auch zum Glück darauf verzichtet, auf die Tränendrüse zu drücken, bei allem Realismus wird hier nichts dem Leser aufgedrängt als „guck mal, wie traurig, sooo schlimm hatten es die Menschen damals“. Es bleibt viel Raum für humorvolle Betrachtungen und für Authentizität jenseits vom billigen historischen Groschenroman. Denn auch die höhere Gesellschaftsschicht wird hier nicht verklärt, ganz im Gegenteil, hier wird ein bissiges Sittengemälde des Adels bzw. des Geldadels gemalt, Gesellschaftskritiker hätten hier sicher ihre helle Freude daran (Hallo Martin :P).
Man fragt sich schnell, ob ein Leben voller Prunk und dem Wissen sich über alle andere erhaben fühlen zu können, auch ein gutes Leben ist. Insofern gelingt der Autorin ein treffendes Bild der damaligen Gesellschaft und wer auf das viktorianische England steht, weil der Modestil so toll war und der Adel in den stuckverzierten Häusern so ein schönes Leben hatte, bei dem das einzige Problem sein konnte ob man sich als höheres Töchterchen eine Geld- oder eine Liebesheirat erlauben konnte, und liebend gerne solche Filme sieht oder Bücher liest, für den ist dieses Buch ganz gewiss nichts! (Okay, ich schaue auch ganz gerne mal solche Filme oder lese solche Romane, so ist es nicht, aber als Lieblingsbuch taugt dann doch nur etwas mit mehr Tiefgang und Realismus ;) Aber keine Sorge, die Romantik kommt auch hier nicht zu kurz. Romantik aus männlicher Sicht halt :P)

Oscar Wilde ist in dieser Buchreihe nicht die Hauptfigur, es ist keine literarische Biographie über diese eindrucksvolle Gestalt, aber er taucht immer wieder auf, man erlebt einschneidende Wendungen in seinem Leben mit und für Adrian wie für den Leser wird er zu einer Person, zu der man aufschaut, die man bewundert und mit der man auch mitleidet. Ich finde, Zwigtman ist es hervorragend gelungen, Oscar Wilde authentisch darzustellen, so entrückt, spürbar genial und auch tragisch. Hier ist nichts übertrieben, hinzugedichtet und aufgebauscht. Die Darstellung Wildes ist ein großer Pluspunkt für den Roman!

Und nicht zuletzt geht es um Homosexualität, welche im viktorianischen England eine besonders schwer wiegende Sünde war und darum immer wieder der Katalysator ist für Berg- und Talfahrten voller Risiken und Bedrohungen in Adrians (wie auch in Oscar Wildes) Leben. Adrian geht mit seiner Neigung, wie es auch generell seiner Natur entspricht, locker und selbstverständlich um, die Erkenntnis, dass er Männer liebt, stürzt ihn nicht in eine Sinnkrise und er stellt sie auch nicht in Frage. Aber er lebt in einer Zeit, in der die gleichgeschlechtliche Liebe es in England mehr als schwer hat, in der Schwule, und zwar aus allen Gesellschaftsschichten, vom Gesetz verfolgt werden. Darum hat Adrian nicht nur mit den Problemen zu kämpfen, welche die Liebe (und Sex, der natürlich auch absolut nicht zu kurz kommt in den Büchern, aber dazu später ;) ) mit sich bringt, sondern er muss auch noch ein Schattendasein führen und darauf achten, dass das, was für ihn so selbstverständlich ist, nicht von anderen entdeckt wird, denn dies könnte nicht nur Freundschaften oder andere Verbindungen zerstören, sondern vor allem auch ihn selbst. Das führt natürlich zur Hochspannung in der Geschichte, aber auch zu Schockmomenten und sicherlich sehr häufig zu der Erkenntnis, dass es heutzutage ein hohes Gut ist, dass Homosexuelle in den westlichen Industriestaaten zumindest nicht mehr verfolgt werden (wenigstens nicht durch das Gesetz…), denn hier zeichnet die Autorin effektvoll Adrians „Doppelleben“ wie auch die Sinnlosigkeit darin, weil er schließlich auch nur ein Mensch wie jeder andere auch ist.

Die Bücher schneiden Themen an, die für einige sicher grenzwertig sein mögen und schwer verdaulich scheinen für einen Jugendroman – Gewalt, Prostitution von Kindern und Jugendlichen, Syphillis, auch die Sexszenen sind für heterosexuelle Leser, die derartiges nicht gewohnt sind, vielleicht erstmal schwere Kost ;) (bzw. für Heteromänner sicher xD) Das alles geschieht aber weder sensationslüstern noch mit dem moralischen Zeigefinger in Hintergrund oder mitleidserregend, und „haach schnief, ist das alle soooo schrecklich schockierend und ganz dringend nachdenklich machend“-Momente gibt es auch nicht. 
Das liegt eben auch an den Schilderungen von Adrian, denn er hat einen mitunter bissigen Humor, ist mit all seinen Stärken und Schwächen, Sehnsüchten und Ängsten sehr menschlich und wächst einem einfach sofort ans Herz. Er ist absolut nicht das, was man als „typisch schwule Klischeetunte“ bezeichnen würde und damit können sich ganz sicher auch stockheterosexuelle, absolut nur auf Frauen stehende Männer mit ihm identifizieren ;)

Die Bücher sollen sich an Menschen ab 16 Jahren richten – ich muss sagen, ich wäre mit 16 bei einigen Sexszenen schon sehr errötet, aber da ich zehn Jahre älter bin schockt mich das nicht mehr so wirklich :P Könnte aber tatsächlich nicht für alle unter 18-Jährige was sein, aber es wird schon niemanden verderben. Der Sex ist nicht um der Sensation willen eingebaut, sondern fügt sich in die Storyline – je nachdem können die Schilderungen romantisch, gefühlskalt oder auch wirklich erotisch sein – und die Szenen sind nicht reißerisch aufgemacht, also alleine deswegen sollte niemand abgeschreckt sein. Man muss dazu sagen, dass Adrian eben ein Kerl ist und genauso beschreibt er dann auch eben auch Handlungen und Körperteile *hust*, aber das macht es halt auch authentisch. 

Ich kann so richtig mit Adrian mitfiebern, er hat mich immer wieder zum herzhaften Lachen gebracht, manchmal wäre ich aber auch am liebsten ins Buch gestiegen um ihn zu schütteln und „TU DAS NICHT!“ zu schreien und nicht zuletzt habe ich mir an anderen Stellen gewünscht, dass es gut für ihn ausgeht. Gerade im dritten Band, in dem Adrian Selbsthass und Hass auf eine bestimmte Person offenbart und eine Art Rachefeldzug startet, ist man als Leser manchmal schon fast getroffen von seinen Ausbrüchen und den Aggressionen, das alles ist aber glaubwürdig erzählt, so wie die Figur des Adrian, aber auch die Neben- und Randfiguren lebendig und überzeugend wirken. Und Adrian hat wirklich Charme, auf seine Weise ;) 

Zum Ende will ich natürlich nichts sagen, aber nur so viel: Mir hat es gut gefallen ;) Und es sorgt durchaus für Überraschungen und ist alles andere als schmalzig, sondern zeugt vom Einfallsreichtum der Autorin.  

Ich spreche eine ganz deutliche Leseempfehlung für die Reihe aus – natürlich liegt das Thema nicht jedem, aber ihr solltet mal einen Blick wagen, auch wenn die Epoche oder das Motiv der Homosexualität nicht wirklich was für euch sein sollte. Es lohnt :)

2 Kommentare:

  1. Ja super Julie, ich hab hier noch 6 Bücher die ich noch in meinem "to read" Stapel liegen hab, und du setzt mir niochmal 3 neue vor! So werd ich ja nie fertig! Arg!

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    1. He he, ich hab auch direkt an dich gedacht, denke das könnte dir gefallen ;) Naja, du bist ja noch jung und hast noch viel Zeit zum Lesen in deinem Leben :D

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