Heute möchte ich euch mal keinen Kosmetikartikel vorstellen,
sondern ein Buch, bzw. eine Buchreihe ;) Aber keine Sorge, es hat nichts mit
meiner Masterarbeit zu tun und ich verschone euch mit Werken über
Pfadabhängigkeit oder das Bildungswesen in Frankreich.
Und zwar widmet sich dieser Eintrag der „Adrian Mayfield“-Trilogie
der niederländischen Autorin Floortje
Zwigtman (eigentlich Andrea Oostdijk, aber ich kann beides nicht richtig
aussprechen :P).
Die Buchreihe wurde 2005-2010 geschrieben und erschien
2008-2011 in deutscher Übersetzung beim Gerstenberg-Verlag. Bei amazon kostetdas erste Buch im Hardcover-Einband 16,90 Euro,
es gibt aber mittlerweile anscheinend auch eine günstigere Softcover-Variantevom Oetinger-Verlag für 10,95 Euro,
das trifft allerdings bisher nur auf den ersten Teil zu. Die Bücher sind mit
ca. 500-650 Seiten eher „dicke Schinken“, wobei meinetwegen hätten sie auch
noch dicker sein können, ich hatte sie natürlich – Lieblingsbuchphänomen – viel
zu schnell durch.
Ich bin nur zufällig beim Stöbern in den Hamburger
Bücherhallen (so heißt hier die städtische Leihbibliothek) auf diese Buchreihe
gestoßen. Ich schau mich dort ab und zu in der Jugendabteilung um, weil ich die
Arena-Thriller lese (meine Schwester hat mich angesteckt), das ist kurzweilige
Unterhaltung, über deren Schreibstil und Anbiederung beim jugendlichen Leser
ich mich zwar immer wieder aufrege, aber man kann mich ziemlich schnell dran
kriegen mit Spannung und „Wer war der Täter?“-Plots (ich muss ja sogar bei „Verdachtsfälle“
bei RTL wissen, wie es ausgeht xD). Ich hab dann während meiner Suche den
dicken Einband von „Ich, Adrian Mayfield“ gesehen und das Buch wirklich nur
rausgezogen, weil ich den Namen so schön fand. Adrian Mayfield hört sich ja sehr klangvoll und blumig an und selbst, als ich noch überhaupt nicht
wusste worum es in diesem Buch gehen würde und welchen Hintergrund es hat,
assoziierte ich mit dem Namen direkt das viktorianische England. Geschickt
gemacht von der Autorin ;) Vielleicht kam ich drauf, weil „Adrian“ Anleihen an „Dorian“
hat und ich das sogleich mit Oscar Wildes „Picture of Dorian Gray“ verknüpfte?
Das wäre jedenfalls schon mal eine gute Fährte gewesen.
Wie auch immer ich nun tatsächlich dazu kam, Anfang 2011 also
dieses Buch in die Hand zu nehmen – es ist eine der besten Sachen gewesen, die
ich in diesem Jahr angestellt habe. Denn durch puren Zufall habe ich so ein
(für mein Empfinden) kleines Meisterwerk an Land gezogen, das jetzt zu meinen
absoluten Lieblingsbüchern gehört. Denn hier passt für meinen Geschmack einfach
alles, und so einen literarischen
Glückstreffer lande ich nur alle paar Jahre mal. Ich habe mir direkt nach der Lektüre die ersten beiden Bücher gekauft und sehnsüchtig darauf gewartet, dass im Sommer 2011 der dritte und damit leider auch der letzte Teil in Deutschland erschien.
Aber ich komme erst mal zur Handlung an sich: Es geht um,
man ahnt es schon ;), einen Jungen namens Adrian Mayfield. Dieser lebt im
London des ausgehenden 19. Jahrhunderts, er ist weitestgehend mittellos und
arbeitet im heruntergekommenen Londoner Osten. Als er dann auch noch seine
Stelle als Ladenhelfer bei einem Herrenausstatter verliert, sitzt er auf der
Straße, erhält aber durch Zufall eine Bleibe bei dem exzentrischen, aber
gutmütigen belgischen Maler Augustus Trops – mit dem er zuvor eigentlich eine
ihm eher unangenehme Begegnung gemacht hatte, als dieser noch Kunde bei seinem
Chef war. Übrigens, ich bin ja begeisterte Agatha Christie-Leserin und ich
musste Trops irgendwie immer mit ihrem Detektiv Hercule Poirot verbinden:
Korpulente Gestalt, mächtiger Schnurrbart, ausgefallene, von den Briten mit empört-herabwürdigendem
Blick gestreifte Kleidung, immer das Pochen darauf, dass er Belgier sei und
nicht Franzose… keine Ahnung, ob das Absicht ist oder nicht, aber ich für
meinen Teil habe mir dann Augustus Trops immer vorgestellt wie Sir PeterUstinov als Hercule Poirot xD
Und damit beginnt ein völlig neues Leben für Adrian, denn er
lernt nicht nur eine andere Gesellschaftsschicht kennen als der, der er
entspringt: Trops ist Kunstmaler, lässt Adrian für sich Modell sitzen und
dadurch erhält der Junge Zugang zur mondänen Gesellschaft, die etwa im Londoner
Café Royal sich in ihrem eigenen Glanz sonnt; genauer gesagt macht er
Bekanntschaft mit dem dekadenten, hedonistischen „purpurnen Hofstaat“ um Oscar
Wilde, den schon zur damaligen Zeit populären Schriftsteller und lernt so etwa
auch Aubrey Beardsley, der Wildes Werke illustrierte, oder den arroganten Lord
Alfred Douglas kennen, Oscar Wildes Geliebten. Aber nicht nur äußerlich scheint
sich Adrians Leben zu verändern, denn er lernt auch einen Teil seines Selbsts
besser kennen, der ihm zuvor nicht so stark bewusst war: Seine Homosexualität.
Adrian merkt aber auch schnell, dass er eigentlich nur Besucher ist in der
schillernden Welt, in die Trops ihn gebracht hat und dass er bei Weitem nicht
über die Mittel oder das Ansehen verfügt, um dort vollständig anerkannt zu
werden. Um nur ansatzweise mithalten zu können mit dem Lebensstil seiner neuen
Bekanntschaften, reicht es irgendwann nicht mehr für ihn, Malern Modell zu
sitzen und er beginnt, sich zu prostituieren. Damit macht er zwar durchaus
Geld, aber er ist sehr darauf bedacht, dass seine Freunde und Bekannte dies
nicht aufdecken. Gleichzeitig spürt er auch, dass er immer ein Fremder bleiben
wird in den Sphären der Künstler und Dandys.
Adrians erste Liebe füllt
natürlich auch einen Großteil der Seiten, und diese ist so problematisch, wie
sie nur sein kann: Nicht nur, dass Adrians Geliebter aus einer vollkommen
anderen Gesellschaftsschicht entstammt und schon alleine deswegen eine bloße
Freundschaft fast unmöglich wäre, er ist auch ganz und gar nicht im Reinen mit
seinen Neigungen und möchte die Liebe zu Adrian nicht wahr haben.
Die Spannungen
zwischen den Ständen, Erpressungen, denen Homosexuelle damals zum Opfer fielen,
Hetzjagd auf Schwule, das Auf und Ab zwischen Adrian und seinem ersten Freund,
der innerlich zerrissen ist und seine Gefühle zu unterdrücken und später auch mit dubiosen Mitteln zu bekämpfen versucht, immer
auch darin eingebunden die Figur des Oscar Wilde, dessen Prozess ebenfalls
eindrücklich geschildert wird, stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Der dritte
Band spielt dann teilweise in Paris (was mich persönlich sehr gefreut hat :) ).
Auch Adrians Verhältnis zu seiner Familie wird thematisiert: Seine
lebenslustige Schwester, aufstrebender Stern als Tänzerin, die ihm immer mal
wieder den nötigen Tritt in den Hintern verpassen will, damit er etwas aus seinem
Leben macht, seine unterkühlte Mutter, für die er ein Versager ist oder sein
Vater, ehemals Schauspieler und Kneipenbesitzer, der dem Alkohol verfallen ist
und von der Heilsarmee aufgepäppelt wird (die Szenen mit seinem Vater sind
teilweise wirklich urkomisch).
Ja genau, deswegen liebe ich diese Bücher: Sie spielen im
viktorianischen England und es geht um Oscar Wilde und Schwule :D
Na okay, das wäre viel zu kurz gegriffen und wird der
Buchreihe nicht gerecht. Ja, man verliert sich gerne im London um 1890, es wird
alles atmosphärisch dicht beschrieben, man bekommt einen plastischen Eindruck
vom Leben dort – aber es wird nichts schöner verpackt als es ist oder in einen märchenhaften
Glanz verhüllt, um eine vermeintlich „gute alte Zeit“ mit schicken Klamotten,
Champagnerkelchen und einem Leben im Saus und Braus ohne Arbeit und existentielle Probleme
heraufzubeschwören. Denn es geht mitnichten nur um die höhere Gesellschaft. Das
Leben im Londoner Osten war ein hartes, und das verspürt man auch während der
Lektüre, hier wird unverblümt aufgedeckt, wie es den Menschen erging, die eben
nicht der High Society entstammen. Allerdings wird auch zum Glück darauf
verzichtet, auf die Tränendrüse zu drücken, bei allem Realismus wird hier
nichts dem Leser aufgedrängt als „guck mal, wie traurig, sooo schlimm hatten es
die Menschen damals“. Es bleibt viel Raum für humorvolle Betrachtungen und für
Authentizität jenseits vom billigen historischen Groschenroman. Denn auch die
höhere Gesellschaftsschicht wird hier nicht verklärt, ganz im Gegenteil, hier
wird ein bissiges Sittengemälde des Adels bzw. des Geldadels gemalt, Gesellschaftskritiker
hätten hier sicher ihre helle Freude daran (Hallo Martin :P).
Man fragt sich schnell,
ob ein Leben voller Prunk und dem Wissen sich über alle andere erhaben fühlen
zu können, auch ein gutes Leben ist. Insofern gelingt der Autorin ein
treffendes Bild der damaligen Gesellschaft und wer auf das viktorianische
England steht, weil der Modestil so toll war und der Adel in den
stuckverzierten Häusern so ein schönes Leben hatte, bei dem das einzige Problem
sein konnte ob man sich als höheres Töchterchen eine Geld- oder eine Liebesheirat erlauben konnte, und liebend gerne solche Filme sieht oder Bücher liest, für den ist
dieses Buch ganz gewiss nichts! (Okay, ich schaue auch ganz gerne mal solche Filme
oder lese solche Romane, so ist es nicht, aber als Lieblingsbuch taugt dann
doch nur etwas mit mehr Tiefgang und Realismus ;) Aber keine Sorge, die Romantik kommt auch hier nicht zu kurz. Romantik aus männlicher Sicht halt :P)
Oscar Wilde ist in dieser Buchreihe nicht die Hauptfigur, es
ist keine literarische Biographie über diese eindrucksvolle Gestalt, aber er
taucht immer wieder auf, man erlebt einschneidende Wendungen in seinem Leben
mit und für Adrian wie für den Leser wird er zu einer Person, zu der man
aufschaut, die man bewundert und mit der man auch mitleidet. Ich finde, Zwigtman ist es
hervorragend gelungen, Oscar Wilde authentisch darzustellen, so entrückt, spürbar
genial und auch tragisch. Hier ist nichts übertrieben, hinzugedichtet und
aufgebauscht. Die Darstellung Wildes ist ein großer Pluspunkt für den Roman!
Und nicht zuletzt geht es um Homosexualität, welche im
viktorianischen England eine besonders schwer wiegende Sünde war und darum
immer wieder der Katalysator ist für Berg- und Talfahrten voller Risiken und
Bedrohungen in Adrians (wie auch in Oscar Wildes) Leben. Adrian
geht mit seiner Neigung, wie es auch generell seiner Natur entspricht, locker
und selbstverständlich um, die Erkenntnis, dass er Männer liebt, stürzt ihn
nicht in eine Sinnkrise und er stellt sie auch nicht in Frage. Aber er lebt in
einer Zeit, in der die gleichgeschlechtliche Liebe es in England mehr als
schwer hat, in der Schwule, und zwar aus allen Gesellschaftsschichten, vom Gesetz verfolgt
werden. Darum hat Adrian nicht nur mit den Problemen zu kämpfen, welche die
Liebe (und Sex, der natürlich auch absolut nicht zu kurz kommt in den Büchern,
aber dazu später ;) ) mit sich bringt, sondern er muss auch noch ein
Schattendasein führen und darauf achten, dass das, was für ihn so
selbstverständlich ist, nicht von anderen entdeckt wird, denn dies könnte nicht
nur Freundschaften oder andere Verbindungen zerstören, sondern vor allem auch
ihn selbst. Das führt natürlich zur Hochspannung in der Geschichte, aber auch
zu Schockmomenten und sicherlich sehr häufig zu der Erkenntnis, dass es
heutzutage ein hohes Gut ist, dass
Homosexuelle in den westlichen Industriestaaten zumindest nicht mehr verfolgt werden (wenigstens nicht durch das Gesetz…),
denn hier zeichnet die Autorin effektvoll Adrians „Doppelleben“ wie auch die
Sinnlosigkeit darin, weil er schließlich auch nur ein Mensch wie jeder andere
auch ist.
Die Bücher schneiden Themen an, die für einige sicher grenzwertig
sein mögen und schwer verdaulich scheinen für einen Jugendroman – Gewalt,
Prostitution von Kindern und Jugendlichen, Syphillis, auch die Sexszenen sind
für heterosexuelle Leser, die derartiges nicht gewohnt sind, vielleicht erstmal
schwere Kost ;) (bzw. für Heteromänner sicher xD) Das alles geschieht aber
weder sensationslüstern noch mit dem moralischen Zeigefinger in Hintergrund oder mitleidserregend, und „haach schnief, ist das alle soooo schrecklich
schockierend und ganz dringend nachdenklich machend“-Momente gibt es auch
nicht.
Das liegt eben auch an den Schilderungen von Adrian, denn er hat einen mitunter
bissigen Humor, ist mit all seinen Stärken und Schwächen, Sehnsüchten und
Ängsten sehr menschlich und wächst einem einfach sofort ans Herz. Er ist
absolut nicht das, was man als „typisch schwule Klischeetunte“ bezeichnen würde
und damit können sich ganz sicher auch stockheterosexuelle, absolut nur auf
Frauen stehende Männer mit ihm identifizieren ;)
Die Bücher sollen sich an Menschen ab 16 Jahren richten – ich
muss sagen, ich wäre mit 16 bei einigen Sexszenen schon sehr errötet,
aber da ich zehn Jahre älter bin schockt mich das nicht mehr so wirklich :P
Könnte aber tatsächlich nicht für alle unter 18-Jährige was sein, aber es wird
schon niemanden verderben. Der Sex ist nicht um der Sensation willen eingebaut,
sondern fügt sich in die Storyline – je nachdem können die Schilderungen romantisch,
gefühlskalt oder auch wirklich erotisch sein – und die Szenen sind nicht reißerisch
aufgemacht, also alleine deswegen sollte niemand abgeschreckt sein. Man muss
dazu sagen, dass Adrian eben ein Kerl ist und genauso beschreibt er dann auch
eben auch Handlungen und Körperteile *hust*, aber das macht es halt auch
authentisch.
Ich kann so richtig mit Adrian mitfiebern, er hat mich immer wieder zum herzhaften Lachen gebracht, manchmal wäre ich aber auch am liebsten
ins Buch gestiegen um ihn zu schütteln und „TU DAS NICHT!“ zu schreien und nicht
zuletzt habe ich mir an anderen Stellen gewünscht, dass es gut für ihn ausgeht.
Gerade im dritten Band, in dem Adrian Selbsthass und Hass auf eine bestimmte
Person offenbart und eine Art Rachefeldzug startet, ist man als Leser manchmal
schon fast getroffen von seinen Ausbrüchen und den Aggressionen, das alles ist
aber glaubwürdig erzählt, so wie die Figur des Adrian, aber auch die Neben- und
Randfiguren lebendig und überzeugend wirken. Und Adrian hat wirklich Charme, auf
seine Weise ;)
Zum Ende will ich
natürlich nichts sagen, aber nur so viel: Mir hat es gut gefallen ;) Und es
sorgt durchaus für Überraschungen und ist alles andere als schmalzig, sondern
zeugt vom Einfallsreichtum der Autorin.
Ich spreche eine ganz deutliche Leseempfehlung für die Reihe
aus – natürlich liegt das Thema nicht jedem, aber ihr solltet mal einen Blick
wagen, auch wenn die Epoche oder das Motiv der Homosexualität nicht wirklich
was für euch sein sollte. Es lohnt :)
Ja super Julie, ich hab hier noch 6 Bücher die ich noch in meinem "to read" Stapel liegen hab, und du setzt mir niochmal 3 neue vor! So werd ich ja nie fertig! Arg!
AntwortenLöschenHe he, ich hab auch direkt an dich gedacht, denke das könnte dir gefallen ;) Naja, du bist ja noch jung und hast noch viel Zeit zum Lesen in deinem Leben :D
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